Der Hiskiatunnel
Diese Geschichte kennt wahrscheinlich schon jeder, der mich näher kennt, da ich auch ein wenig stolz darauf bin. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht jeden Menschen erst einmal für gut zu halten, bevor er mir das Gegenteil bewiesen hat. So ist es auch mit den Völkern und man lernt dabei, daß auch wir im Westen ein falsches Bild von der Welt vermittelt bekommen.
Diese Geschichte spielt in Israel, genau genommen Jerusalem. Nachdem wir den Tempelberg und die Klagemauer besichtigt hatten bekamen wir den Nachmittag zur freien Verfügung. Solche Momente nutze ich dann gerne, meinen das Jahr über unterdrückten Forscherdrang auszuleben. Da ich mich vor einer Reise immer ein wenig informiere, fiel mir da die Geschichte vom Siloahteich ein. Mein linkes Auge ist nun mal von Geburt auf ziemlich blind und der Prophet Isa bzw. Jesus, wie er im Christentum genannt wird, sagte ja zu dem Blinden, er solle zum Teich von Siloah gehen und sich die Augen auswaschen. Der Knabe konnte danach ja wieder sehen und so wollte ich mal ausprobieren, ob der Trick bei mir auch klappt. Es konnte auch nicht all zu weit sein und so fragte ich einen der israelischen Soldaten nach dem Weg. Die einzige Antwort die ich bekam war „Not go! arabic Jerusalem!“ . Der Teich liegt also im östlichen Teil der Stadt und somit in Palästina. Was hört man bei uns nicht immer von diesem gefährlichen Volk aber ich ließ mich nicht abschrecken und fragte erneut. Wieder die gleiche Antwort und so musste ich laut werden. Diesen Ton scheint dann auch der Soldat verstanden zu haben und er erklärte mir widerwillig den Weg. Als letztes bekam ich dann noch einmal zu hören, daß ich da doch nicht hingehen sollte. Wenn ich mir aber was in den Kopf gesetzt habe, so bin ich schlecht davon ab zu bekommen.
Die anderen unserer Gruppe wollten dann doch nicht mit und so machte ich mich zusammen mit meiner Mutter auf den beschriebenen Weg. Es ist schon beeindruckend, wo an der Klagemauer noch sehr viele Touristen den Platz belagern, sieht man nur wenige Meter entfernt niemanden mehr von ihnen. Ungläubig wurden wir von den Einheimischen beobachtet und der Besitzer eines kleinen Ladens konnte es kaum glauben, daß Touristen sich bei ihm etwas zu trinken holten. Aber wo war jetzt der Siloahteich? Ich sah auf der anderen Straßenseite einen Palästinenser stehen und ging auf ihn zu, um nach dem Weg zu fragen. Da ich als Ausländer zu dumm war ordentlich arabisch zu sprechen, hatten wir Verständigungsprobleme und er rief noch einen Kollegen heran. Wir konnten ihnen dann klar machen was wir suchen und bekamen leider die Antwort „100 meters on the left but it is closed“. So ein Ärger, da hat man sich extra auf den Weg gemacht und dann ist es geschlossen. Als die Beiden unsere Enttäuschung wahrnahmen sagte einer von ihnen nach einer kleinen Pause dann aber „But my friend has a key“. Jaaa, so ein Glück muss man haben. Er meinte dann, daß wir lieber mit seinem Freund den Schlüssel holen fahren sollten, da er das bessere Auto hätte. Als dieses tolle Auto dann vorfuhr fragten wir uns, wie denn dann ein Schlechtes aussehen solle. Ringsrum keine Scheiben mehr, Rost überall und die Vordersitze lagen auf den Rückbänken auf. Naja, das Gefährt machte jedenfalls noch brumm und so fuhren wir den Schlüssel abholen. Unterwegs wurde ich dann gefragt, ob ich denn auch den Tunnel besichtigen wolle und ich sage bei so etwas ja nie nein. Wir besorgten also gleichzeitig noch ein paar Kerzen und fuhren zu dem Teich. Es hatte sich wohl in der Zwischenzeit rumgesprochen, daß sich da zwei so Touristen in dieses Viertel verirrt hatten und daher standen am Tor schon mehrere Leute, die uns fröhlich begrüßten. Es wurde uns aufgeschlossen und wir liefen die Treppen zum Teich hinab. Ich natürlich direkt ab zum Wasser und rein damit ins Gesicht. Tja, hilft wohl doch nicht bei jedem und das Auge ist immer noch so blind wie ein Fisch. Naja, ein Versuch war es wert und ich stand jetzt an dem Teich, der für Juden, Christen wie Moslems heilig ist. Dieser Teich beinhaltet ja schließlich das Wasser der am Ostfuß des Berges Zion gelegenen Gihonquelle. Diese Quelle ist die einzige Ganzjahresquelle in Jerusalem und entspringt in einer Grotte im Kidrontal. Hiskia, der 13. König von Judah, ließ aus Angst vor den Assyrern einen Tunnel bauen, der das Wasser der Quelle ins Innere der Stadt leitete. Somit war während einer Belagerung die Wasserversorgung sicher gestellt. Der Bau des Tunnels war im 8.-7. Jahrhundert v. Chr eine Meisterleistung.
Als meine Mutter den Tunnel sah und mitbekam, wie hoch das Wasser ihn teilweise überflutet, meinte sie, ihn nicht unbedingt ganz sehen zu müssen. Da ich mir die Gelegenheit jedoch nicht entgehen lassen wollte, beschlossen wir, daß ich mit jemandem durch den Tunnel gehe und sie mit den anderen Palästinensern per Auto um den Berg fährt. Hut ab vor meiner Mutter, aber das hätte sich nicht jede Frau getraut. Das Wasser war richtig schön kalt und eine Wohltat, bei den hohen Temperaturen die gerade herrschten. Der Tunnel ist teilweise sehr eng und man dürfte keinen Gegenverkehr haben. Auf der anderen Seite angekommen, standen wir nun an der Gihonquelle, die die Christen auch als Marienquelle bezeichnen und an der schon Salomo zum König von Israel gesalbt wurde. Auch hier befand sich ein verschlossenes Tor aber wir kannten ja die Leute mit den Schlüsseln. Sie standen gemeinsam mit meiner Mutter schon in der Grotte mit der Quelle und warteten auf uns. Wir haben dann noch einige Zeit mit unseren neuen Freunden verbracht und dabei auch mitbekommen, warum uns der Soldat abgeraten hatte. Wir sollten wohl nicht sehen, wie hier mit den Palästinensern umgegangen wird. Sie wohnen unten am Berg und die Israelis oben. Über ihre Häuser müssen die Palästinenser Netze spannen, da der Müll auf sie herab gekippt wird. Auch wenn ich als Deutscher vorsichtig sein sollte, so muss die Kritik erlaubt sein, sagen zu können, daß man so nicht mit Menschen umgeht. Wer so etwas macht, hat kein Interesse am Frieden! Zum Abschluss des Tages wurden wir dann noch per Auto bis vor die Tür des Hotels gebracht. Wir hatten einen wirklich schönen Tag verbracht und waren dabei das erste Mal mit der Gastfreundschaft des palästinensischen Volkes konfrontiert worden. Bei unseren zukünftigen Jordanienreisen lernten wir dieses Volk noch näher kennen, da die Bevölkerung Jordaniens zur Hälfte aus ihnen besteht. Auch unser Freund Mohammed ist einer von ihnen und ich weiß die Gastfreundschaft von ihnen heute sehr zu schätzen.
Als wir am nächsten Morgen direkt am Hotel ein Modell des alten Jerusalem besichtigten, berichtete ich unserem israelischen Reiseleiter von unserer Unternehmung am Vortag. Er fing laut an zu lachen und meinte, daß ich niemals den Hiskiatunnel hätte sehen können. Der Tunnel liege schließlich im Ostteil und sei von beiden Seiten fest verschlossen. Ich sagte ihm, daß man dann halt jemand finden muss, der einen Schlüssel hat und zeigte ihm am Modell den Verlauf des Tunnels. Sein lautes Lachen verlor sich in ungläubiges Staunen und er gab mir recht, daß es sich um den besagten Tunnel handelt. Er guckte mich mit großen Augen an und meinte: „Die letzten die diesen Tunnel besucht hatten, war eine schweizer Expedition vor drei Monaten und die haben dafür 50.000 Dollar bezahlt“. Naja, Glück muss man haben und darf sich nicht abschrecken lassen, dann kann man richtig was erleben.